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Ausstellungsansicht    Carlernst Kürten-Stiftung, Unna     2022

Bettina Zeman


Zwischenräume – Arbeiten von Edda Jachens und Gaby Terhuven



Die gemeinsame Präsentation der Werke von Edda Jachens und Gaby Terhuven bietet ein weites Panorama, das von aktuellen, teils für diesen Ort geschaffenen Wachs- und Glasmalereien über Aquarelle und Bleistiftzeichnungen bis hin zu Skizzenbüchern und Vorzeichnungen reicht. über die drei Etagen der Alten Villa des Kunstmuseums Gelsenkirchen entspinnt sich ein spannungsreicher und sich wechselseitig beeinflussender Dialog zwischen den zunächst so unterschiedlich anmutenden Arbeiten. 

Beide Malerinnen eint die ungewöhnliche Wahl zweier Werkstoffe, die auf eine lange Tradition in Kunst und Kunstgeschichte zurückblicken: Wachs bei Edda Jachens und Glas bei Gaby Terhuven. Beiden Materialien ringen die Künstlerinnen durch eine bewundernswerte Intensität und Kraft, durch Ruhe und Ausdauer ganz neue Möglichkeiten und Perspektiven ab. 

Anhand ausgesuchter Werke soll hier beispielhaft die jeweils ganz eigene, künstlerische Position vorgestellt werden, um schließlich dem Verbindenden und Trennenden ihrer Kunst nachzugehen: 

Wie es die zehnteilige Arbeit auf der langen Wand (S. 16f., 26) und die sechsteilige auf der angrenzenden schmalen Wand (S. 19) exemplarisch zeigen, bemalt Gaby Terhuven stets zwei Glasscheiben von beiden Seiten partiell mit Ölfarbe. Beide Scheiben sind mit schmalen Trennstegen auf Abstand hintereinander gefügt und mit Abstand zur Wand aufgehängt. Dadurch entstehen überraschende Wechselwirkungen innerhalb der Arbeit und mit dem Umraum. Während die Künstlerin so den Objektcharakter der Glasmalerei betont, bewirkt der zarte Schattenverlauf eine Vorstellung von Schweben. 

Während die sechsteilige Arbeit das zumeist zurückhaltende Kolorit bei Gaby Terhuven zeigt, das hier von einem hellen Blau über ein zartes Rosa bis zu einem lichten Gelb reicht, tritt das zweireihige zehnteilige Band mit seiner kräftigeren Farbskala von gemischten Blau- und Grautönen in wohlkalkulierten Kontrast zur weißen Trägerwand. 

Eine Vielzahl horizontaler Streifen auf der vorderen Glasscheibe dominiert die Gesamtkomposition. Durch ihr sukzessives An- und Abschwellen bilden sie eine Art Horizont und führen den Blick unwillkürlich in die Tiefe. Die Komposition setzt sich auf allen Scheiben fort, um die neben- und übereinander positionierten Elemente zu einer fortlaufenden Einheit zu verbinden. Auf die dahinter liegenden Oberflächen hat Terhuven minutiös feinste hellblaue Linien aufgetragen. Ihr diagonaler Verlauf bricht die Strenge der horizontalen Gliederung der Arbeit auf. 

Unterbrochen durch die pastosen Horizontlinien rhythmisieren die feinen Liniensegmente die Komposition und bringen damit einzelne Bereiche gleichsam zum Flirren. Diese nehmen ihren Anfang und ihr Ende an den beiden vertikalen Aussparungen, an denen die Künstlerin ein Zusammenwirken der transparenten Lasuren mit der dahinterliegenden Wand erreicht. Gleich einem Lichtstrahl setzen die Aussparungen ihren Verlauf auf der darüber bzw. darunter versetzt angeordneten Scheibe fort und lassen die Elemente zu einer aus sich heraus strahlenden Einheit werden. 

Entgegen der mittleren Vertikalen, die der Komposition Stabilität verleiht, neigen sich die beiden Bahnen bei genauerem Hinsehen sukzessive nach links und rechts. Dieser Prozess ließe sich nach Auskunft der Künstlerin anhand weiterer Glaselemente so weit fortsetzen, bis die Vertikale praktisch zum „Erliegen“ kommen würde. 

So eindeutig die Werke zunächst konstruiert scheinen, so wandeln sie sich zu „nicht fassbaren Gehäusen“ (Gaby Terhuven), je länger der Blick auf ihnen verweilt. Durch die Staffelung der Scheiben und das wohlkalkulierte Zusammenspiel von Farben und Formen, durch kompositorische Setzungen und gezielte Brechungen vibrieren die Linien auf der Bildfläche und versetzen das Kunstwerk in Schwingung. Insbesondere die abschließende, in Streifen aufgetragene weiße Lasur auf der Vorderseite löst die Abgrenzungen auf und verunklärt den Blick in die Tiefe. Ein diffuser Bildraum entsteht, der durch das lebendige Wechselspiel von Vorder- und Hintergrund, von Nähe und Ferne pulsiert. 

Gerade die Abmessungen dieser Arbeit von annähernd 5 Metern erfordern die Bewegung des Betrachters, die sich als grundlegend für die Wahrnehmung und Wirkungsweise der Kunst von Gaby Terhuven erweist. Denn je nach Standpunkt und Blickwinkel verändert sich die Arbeit, die unter dem Einfluss des natürlichen Lichts und den Gegebenheiten des Raums einem steten Wandel unterworfen ist. Nichts ist eindeutig, sondern alles verbleibt in Andeutung. Nichts ist gegeben, sondern alles entsteht vielmehr in der Vorstellung des Betrachters. Das sensible Zusammenspiel von Form und Farbe, von Licht und Schatten offenbart sich als rein visuelles Phänomen, das sich nicht festhalten lässt: Kunst als ein flüchtiges und nicht fixierbares Erleben, das sich gerade im Vorbeigehen immer wieder neu und anders offenbart. 

Gaby Terhuven lässt in ihrer Glasmalerei – ob als einzelne Arbeit oder als mehrteilige Serie – ein faszinierendes Spiel mit der Wahrnehmung entstehen, das sein kongeniales Gegenstück in den eindrücklichen Paraffinwerken von Edda Jachens findet. So scheint auf das lange Querformat gleichsam ihr neunteiliges Hochformat aus 3 x 3 lichten „Kreuzungen“ an der schmalen Stirnwand (S. 13, 27) zu antworten, die die Künstlerin eigens für diese Ausstellung geschaffen hat. 

Auch diese Arbeit überzeugt und besticht durch die gezielte Reduktion der Farbe und die lineare Sprache der geometrisch-monochromen Form. Die Bildfläche wird von einer Gitterstruktur überzogen, die, neben Kreisen und Quadraten, zu dem charakteristischen Formvokabular der Künstlerin zählt. Mittels Farbstift und Schablone hat Edda Jachens vier Gitter auf die insgesamt neun grundierten Holzträger von 5 cm Tiefe aufgebracht. Dabei hat sie das Raster jedes Mal ein wenig verschoben, um ein Netz aus feinen Linien auf dem Bildträger entstehen zu lassen. Diese hat Edda Jachens danach mit hellem ungefärbten Paraffin überzogen. An den Seiten bildet es feine Tropfen, die das prozessuale Entstehen und die besondere Fragilität des Materials widerspiegeln. 

Im Gegensatz zu der fortlaufenden Struktur bei Gaby Terhuven ist Edda Jachens ganz bewusst bei der Anordnung der Tafeln nicht bei ihrer ursprünglichen Reihenfolge geblieben. Durch diese subtile Verschiebung (S. 12) unterbindet sie den exakten Weiterverlauf des filigranen Musters von Tafel zu 24 Tafel, um die Wahrnehmung „sanft auszubremsen“, wie es die Künstlerin so treffend formuliert. Diese unerwartete Irritation führt zu einer Spannung im Kunstwerk. Das Auge wandert von Linie zu Linie und von Element zu Element über die gesamte Bildfläche, ohne das vermeintliche „Rätsel“ lösen zu können. Durch gezielte formale und farbliche Setzungen entstehen subtile Brüche, die den Betrachter in die faszinierenden Kunstwerke von Edda Jachens eintauchen lassen. 

Durchaus vergleichbar mit der weißen Lasur bei Gaby Terhuven, mildert die milchige Schicht aus Paraffin auch hier die Strenge und Schärfe der konkreten Form. Die Grenze zwischen der klar konturierten Gitterstruktur und ihrem malerischen Umraum wird verunklärt, wodurch auch die Lage der eingeschlossenen Strukturen nicht mehr eindeutig zu bestimmen ist. Vielmehr entsteht ein diffuser Körper, in dem Form und Farbe, Material und Raum miteinander verschmelzen. Das einfallende Licht wird nicht wie bei Terhuven durch das Glas gebrochen und ein lebendiges Schattenbild auf der Wand erzeugt. Vielmehr dringt das Licht in den Bildkörper ein und lässt diesen aus sich heraus erstrahlen. Ob das Paraffin auf Holz oder, wie in anderen Arbeiten, auf Bütten aufgetragen wird, die vor- und zurücktretenden Gitter, Kreise oder auch Quadrate lassen sich nicht fixieren und gehen in einer nicht enden wollenden Bewegung auf. 

Die aktuellste Werkgruppe von Edda Jachens stellen ihre Aquarelle dar. Begonnen hat die Künstlerin mit zarten Blättern, in denen sie mindestens vier transparente Schichten neben- und übereinander aufträgt. Hier geht Jachens den Möglichkeiten der maximalen Reduktion in Form und Farbe nach und lässt das lichte, fast gegen Weiß gehende Kolorit nur erahnbar werden. Demgegenüber stehen ihre jüngeren dunklen Aquarelle (S. 10–13), in denen sie anhand von rund 200 Schichten die maximale Anzahl von hauchdünnen Schichten auslotet, um dunkle, fast gegen Schwarz gehende Aquarelle von großer Farbintensität und körperlicher Anmutung entstehen zu lassen. 

Die Kunstwerke beider Malerinnen „fordern auf zum Reflektieren über das Sehen an sich“, wie es Terhuven bezogen auf ihr Schaffen anschaulich formuliert. „Das Erzeugen einer besonderen Atmosphäre des Nichtbeschreibbaren, Fragilen, Veränderlichen, des Nicht-festhalten-Könnens“ steht im Vordergrund. „Die Flüchtigkeit der Wahrnehmung ist Thema.“ 

Beide Künstlerinnen schaffen eine ganz eigene, subtile Wirklichkeit im Bild, die sich nicht festhalten, sondern nur andeuten lässt – in ihrer Momenthaftigkeit, Flüchtigkeit und Lebendigkeit. Sie lassen zwischen Malerei und Skulptur changierende stille Wandobjekte entstehen, die durch ihre sensible Zurückhaltung und sinnliche Präsenz, ihre Fragilität und Verletzlichkeit, ihre rätselhafte Aura und technische Perfektion überzeugen.

Bettina Zeman 
„Zwischenräume“, 
Katalog zur Ausstellug
Kunstmuseum Gelsenkirchen
Süddeutsche Zeitung
Kultur, 8. Dezember 2017
VON SABINE REITHMAIER

Das Spiel mit dem Licht

Gaby Terhuven steht als zeitgenössische Künstlerin in der Tradition der Hinterglasmalerei.
Im Schlossmuseum Murnau sind ihre Werke zu erleben, die gerade im Vorbeigehen wirken

Lichtbrechungen, Reflexionen, Schattenspiele – Gaby Terhuvens Bildobjekte gleichen jenen kurzen Momenten, in denen Licht und Schatten unentwegt neue Formen bilden. Doch kaum nimmt man sie wahr, verändern sie sich. Jede Bewegung, jeder Wechsel der Sichtposition verändert die Arbeiten. Die Flüchtigkeit der Wahrnehmung ist denn auch das erklärte Thema der Düsseldorfer Künstlerin, deren Werke das Murnauer Schlossmuseum gerade präsentiert.

Die Arbeiten passen gut in dieses Museum. Denn Gaby Terhuven malt auf Glas, lässt sich also gut in der Tradition der Hinterglasmalerei verorten, die in Murnau durch die Sammlungen Udo und Hedi Dämmert sowie Wilhelm Gartner schon lange beheimatet ist. Auch gehört es seit etlichen Jahren zum Konzept des Museums, das ausgezeichnete Angebot an traditioneller Hinterglasmalerei durch zeitgenössische Positionen zu erweitern, etwa durch Terhuvens Triptychon „G6/09“ (2009), ein Werk, das lange Zeit das aktuelleste Bild der Dauerausstellung war.

Sie konstruiert ihre Bilder streng und arbeitet seriell

Terhuven spielt, wie alle Hinterglasmaler, mit dem Licht. Allerdings konstruiert sie ihre Bilder streng, arbeitet seriell und erzeugt mit ihren Liniensystemen einen ganz eigenen Rhythmus. Für ihre Arbeiten verwendet sie jeweils zwei Glasscheiben, die sie auf Vorder- und Rückseite mit Ölfarbe bemalt und dann mittels eines durchsichtigen Abstandshalters hintereinander montiert. Vier Bildebenen also, die sie höchst komplex zusammenfügt zu einer Komposition, die sich wiederholt und verdichtet, Strukturen unterbricht und wieder aufnimmt.

Dass das doppelwandige Bildobjekt seitliche Einblicke in sein Inneres erlaubt, erhöht die transparente Räumlichkeit. Versuche, mit den Augen eine Linie konsequent zu verfolgen, scheitern; es flirrt und flimmert vor den Augen, Sehirritationen, die an Op-Art denken lassen.

Die Farbauswahl geschehe intuitiv, sagt Terhuven beim Rundgang. „Ich möchte Stimmungen schaffen.“ Sie bevorzugt fein abgestufte, eher gebrochene Farbmischungen, wobei die neueren Arbeiten kräftigere Farben aufweisen. Jede der teils sehr feinen, dünnen Linien malt sie mit dem Pinsel; die Herstellung der Werke kostet viel Zeit, allein das zwischendurch immer wieder notwendige Abkleben ist enorm aufwendig.

Anregungen holt sich Terhuven von sich wiederholenden Strukturen, die überall auftauchen: ein Wald mit dicht nebeneinander stehenden Bäumen oder eine wellige Wasseroberfläche. In der Ausstellung verlocken zwei Fotos zu dieser Interpretation, eines davon zeigt den Staffelsee.

Hinter den regelmäßigen Mustern, die Wellen zeichnen, schimmert die Horizontlinie in eigentümlichem Licht. Auch sie ein Raster, das die jüngsten Arbeiten Terhuvens aufgreifen. Die der Ausstellung den Titel gebende Serie „Lichtungen“, großformatige Bleistiftzeichnungen auf Karton, beziehen sich auf Horizontlinien. Trotz der Eindimensionalität wirken die Zeichnungen ungeheuer räumlich, fast so, als könne man in ihren modulierten Schraffuren blättern. Wie exakt Terhuven ihre Bilder plant, verraten die Skizzenbücher und die maßstabsgetreuen Vorzeichnungen, die in Vitrinen zu sehen sind.

Einige ihrer Arbeiten hat die Künstlerin, die an der Fachhochschule für Kunst und Design in Köln Malerei studiert hat, eigens für den großen Raum des Museums entwickelt. Wie Eckhalter hat sie die einzelnen Elemente platziert, eine beschwingte Variante in Rot, eine andere in bläulichen Violetttönen. Eine weitere vielteilige Arbeit durchzieht in sich kreuzenden Systemen eine lange Wand; Rhythmus und Farbverschiebungen erschließen sich im Vorbeischlendern. Ein nahezu unendliches Wechselspiel von Farben, Formen und Licht.

Gaby Terhuven: Lichtungen, Schlossmuseum Murnau.
BILDENDE KUNST STREIFZUG
SEITE 28 - DEZEMBER - MÜNCHNER FEUILLETON

ERIKA WÄCKER-BABNIK

GABY TERHUVEN

»Lichtungen«. Öl auf und hinter Glas
Gudrun Spielvogel Galerie & Edition
Maximilianstr. 45 | bis 24. Februar
Mi bis Fr 13-18.30 Uhr, Sa 11-14 Uhr

Ein Flirren umfängt einen, wenn man den Raum betritt. Von den Glasarbeiten mit ihren vertikalen und horizontalen Linienrastern geht eine irritierende Bewegung aus, ein Schwingen. Vibrieren, Zusammenziehen und Dehnen, als würden Lamellen verschoben, Räume geöffnet und wieder verschlossen, Farb- und Lichtreflexionen erzeugt. Die Strukturen in den Bildwerken bewirken eine unerklärliche Dynamik, die nicht nur durch die körperliche Bewegung des Betrachters entsteht, sondern schon in den Kompositionen angelegt ist - und doch nur Illusion bleibt. Man kennt dergleichen Phänomene von der Op-Art, jener Kunstrichtung der 1960er Jahre, die mittels abstrakter Formenmuster und geometrischer Farbfiguren schwindelerregende optische Effekte erzeugte. Basierten diese Experimente zumeist auf mathematisch berechneten Formeln und Konstruktionen sowie wissenschaftlich begründeten optischen Phänomenen und Farbtheorien. liegt den Arbeiten der Künstlerin Gaby Terhuven (*1960 in Oberhausen) ein anderer Ansatz zugrunde, einer, der ungleich freier, intuitiver und emotionaler ist. ja. sogar seine Inspiration aus der Natur bezieht.

Das Malen auf Glas sowie das technisch spezielle Verfahren der Hinterglasmalerei haben eine lange Tradition, die von der frühen Kirchenmalerei über die Volkskunst bis ins frühe 20. Jahrhundert zu Klee, Kandinsky und Münter reicht und bis in die heutige Zeit in unterschiedlichen Erscheinungsformen fortgesetzt wurde. Aktuell lassen sich übrigens die in den letzten hundert Jahren Kunstgeschichte entwickelten vielfältigen Möglichkeiten der Verbindung von Farbauftrag und Glas als Bildträger in der Ausstellung »Tiefenlicht« des Museums Penzberg mit Genuss studieren (bis 7. Januar, wwav.museum-penzberg.de). Gaby Terhuven nun hat Glas als Bildträger schon früh für sich entdeckt. In der ungewöhnlichen Verbindung von Kompositionsprinzipien der konkreten Kunst und Malen mit Ölfarbe sowohl auf als auch hinter Glas hat sie im Lauf der Jahre ihre Kunstform zu höchster Perfektion entwickelt: Sie bemalt zwei Glasscheiben jeweils von beiden Seiten mit einem vorher raffiniert ausgeklügelten System aus Linienstrukturen, sodass sich beim Übereinanderlegen der beiden Scheiben in einem gewissen Abstand ein komplexes, dreidimensional wirkendes Netzwerk ergibt. Durch Auslassungen, Diagonalen und bestimmte Rhythmisierungen der Abstände entstehen - in der Durchsicht durch die beiden Scheiben bis hin zur Reflexion der Linien auf die dahinter liegende Wand - lichtdurchflutete Räume, die mal mehr an perspektivisch konstruierte Architekturen erinnern, mal an haptisch erfahrbare stoffliche Gewebe, mal an Notationen Neuer Musik; die aber auch aus der Natur abgeleitet sind und bewegte Wasseroberflächen oder durchscheinende Pflanzenhalme suggerieren. Die zurückhaltenden Farben sind fein aufeinander abgestimmt und verstärken, auch in der Zusammenstellung mit den geschickt dazwischen gesetzten semitransparenten weißen Lasuren, den changierenden, diffusen Eindruck – vornehmlich pastellige Grüntöne in der Kombination etwa mit Flieder- oder Orangetönen, aber auch gemischte Blau- und Rotabstufungen, jeweils intuitiv der intendierten Bildatmosphäre folgend. »Lichtungen«, so die Überschrift für die aktuelle Ausstellung, täuscht mit seinem naturhaften Bezug fast über die exakten Berechnungen hinweg, mit denen Terhuven die Kompositionen anlegen und ausführen muss, um zu dem gewünschten Ergebnis zu gelangen. Der Titel suggeriert eine flüchtige Leichtigkeit, die dem visuellen, flirrenden Eindruck dieser Bildw'elten entspricht, nichts aber von der künstlerischen und handwerklichen Perfektion verrät, die den immer dichter und komplexer werdenden Glasarbeiten der Künstlerin zugrunde liegt. Diese wird vor allem durch das Arbeiten in Serien deutlich, durch die Wirkung, die die minimalen Variationen in den Bildtafeln hervorrufen. die in rhythmisierter Abfolge musikalisch gestimmte Schwingungen erzeugen. Zeitgleich ist im Schloßmuseum in Murnau eine umfassende Ausstellung mit Arbeiten von Gaby Terhuven zu sehen (bis 25. Februar, www.schloss-museum-murnau.de). Murnau war seit dem 18. Jahrhundert ein bedeutender Ort der Hinterglasbilderproduktion und das Museum präsentiert in seiner Spezialsammlung nicht nur diese traditionelle Volkskunst, sondern auch Glasbilder des Blauen Reiter und von Zeitgenossen wie Gerhard Richter und Gaby Terhuven.
Gaby Terhuven – Lichtungen
von Simone Schimpf

Seit den späten 1950er-Jahren entwickelte sich in Europa und den USA eine einflussreiche Bewegung, die 1965 im Rahmen einer Ausstellungskritik ihren Namen bekam: Op-Art. Manch ein Künstler empfand die Verkürzung von „optischer Kunst“ angesichts von visuellen Phänomenen, die generell die bildende Kunst charakterisieren, als unzureichend. Nichtsdestotrotz war damit ein mächtiges Schlagwort gefunden worden, das eine Vielzahl künstlerischer Positionen zusammenfasste. Allen gemeinsam ist ihr ungegenständlicher Zugang zu Fragen von Licht und Bewegung im Bild: eine kinetische Kunst, die sich aus optischen Phänomenen, bedingt durch die Physiognomie des menschlichen Auges, ergibt. *1
Jahrzehnte später erarbeitet sich Gaby Terhuven eine künstlerische Position, die anscheinend in dieser Tradition steht, wenn sie mit Überblendungen, Rastern und geometrisch basierten Systemen arbeitet. Die Künstlerin ist sich dieser historischen Dimension bewusst, von der sie sich jedoch nicht einschüchtern lässt und die ihr auch nicht zum Leitmotiv wird. Eigenständig und selbstbewusst eignete sie sich eine künstlerische Praxis an, die keine unmittelbaren Vorläufer in der Op-Art findet. Denn sie erzeugt zwar erstaunliche optische Effekte durch Überlagerungen, malt aber auf einem in diesem Kontext völlig ungewöhnlichen Bildträger: auf Glas.
Aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachtet, könnte man daher Terhuven mit einem gewissen Recht in die Tradition der Hinterglasmalerei einreihen. Diese galt lange als reine Volkskunst, bis sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der künstlerischen Avantgarde rund um den Blauen Reiter entdeckt wurde und eine beeindruckende Renaissance erlebte. *2 Doch trifft auch diese Einordnung nur halb die Besonderheit von Gaby Terhuvens Werk. Die Künstlerin hat eine ganz neue Technik ersonnen. Sie montiert zwei Glasscheiben mittels eines Abstandhalters hintereinander und bearbeitet in der Regel vier Flächen, die dann in eine überraschende Wechselwirkung treten. Mit traditioneller Hinterglasmalerei und deren volkstümlichen Motiven hat das alles nichts mehr zu tun.
Die Künstlerin – so könnte man sagen – beschäftigt sich mit dem Zwischenreich. Was passiert durch den Abstand zwischen den Scheiben und den Auslassungen oder lasierend mit Ölfarbe bemalten Streifen? Welche Rolle spielen der Standort, das Licht, die Schatten und die Bewegungen des Betrachters? Kurz zusammengefasst: All das spielt eine entscheidende Rolle und der Künstlerin ist es sehr wichtig, dass sich das natürliche Licht in den Werken bricht und auf der Wand ein lebendiges Schattenbild erzeugt. Die Wand selbst wird dadurch zu einem integralen Bestandteil des Glasgemäldes und zur weiteren Bildebene – quasi zur fünften Bildfläche – neben den beiden montierten Glasstücken.
Ihre jüngsten Arbeiten, die sie in der Ausstellung in Murnau präsentiert, baut sie aus horizontalen Streifen auf, die durch geschickte Unterbrechungen beispielsweise einen Halbkreis ergeben. Die Entstehung dieser Form lässt sich optisch kaum nachvollziehen. Beginnt man, sich auf die Streifen zu konzentrieren, springen sie hin und her, ein Flimmern entsteht. Es ist geradezu unmöglich, nur eine der Bildebenen zu fixieren. Ebenso schwierig ist es, in Terhuvens Bildwerken die Farben und die Farbanzahl zu bestimmen.
In der Farbwahl ist Terhuven in jüngster Zeit deutlich kräftiger geworden. Rot- und Orangetöne wechseln sich mit den fast transparenten Linien ab. Die Farbauswahl ist bei ihr jedoch intuitiv und folgt keiner systematischen Farblehre. Auffällig ist, dass sie oft zu Pastelltönen und abgemischten Farben greift. Die gebrochenen Farben, nicht die grellen, entsprechen ihrer subtilen Vorgehensweise mehr, bei der die Farbtöne durch die Überlagerungen ständig neue Nuancen bekommen und sich optisch immer wieder mischen. Sowohl in der Form- als auch in der Farbgebung geht sie einen eigenständigen Weg jenseits aller traditionellen Farbtheorien, die speziell in der Konkreten Kunst die Mischfarben zugunsten der reinen Farbe ablehnen.
Jeder ihrer komplexen und aufwendigen Glasmalereien gehen Skizzen und genaue „Strukturpläne“ voraus, die Terhuven in Skizzenbüchern oder auf Papier festhält. Spätestens angesichts dieser komplizierten Dichte an Linien, mit denen sie auf einer Ebene die Fülle von vier Bildebenen festhält, wird einem die anspruchsvolle Komposition bewusst. Es sind mehr als Aufbaupläne. Diese Bleistiftzeichnungen ähneln Notationen, wie sie in der Neuen Musik üblich sind. Der Bezug zur Musik ist Gaby Terhuven tatsächlich bedeutsam, auch wenn sie keine direkte Übersetzung von Klängen in Farben und Linien anstreben würde. Doch auch hier begegnet uns ein elementarer Gedanke der modernen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts: Der synästhetische Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Künsten wird von den Künstlern zum Bildthema erhoben. Speziell Wassily Kandinsky – und das ist in Murnau natürlich ein besonders schöner Bezug – schuf zu diesem Phänomen auch die theoretische Grundlage mit seiner Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ (1912).
Terhuven würde einen solchen Zusammenhang nicht überstrapazieren wollen und strebt keine Illustration an. Doch ihre Werke erzeugen einen Klang, tragen eine eigene Musikalität in sich, die sich vermutlich aus der Bewegtheit der Oberfläche ergibt. Anders als bei einem traditionellen Tafelgemälde ist einem solchen kinetischen Werk eine zeitliche Dimension eingeschrieben. Wie in der Musik gibt es einen Startpunkt, bei dem der Betrachter in das Bild vordringt und dann ergibt sich durch die eigene Bewegung vor dem Bild und durch die optischen Phänomene eine Veränderung, die durchaus analog zur Linearität der Musik zu sehen ist. Natürlich verlaufen der Einstieg in das Bild und dessen Entfaltung individuell und nicht streng linear wie bei der zeitbasierten Musik oder anderen bewegten Medien, auch ist der Betrachtungsvorgang ein verweilender.
Das Flimmern, das die Künstlerin im Auge des Betrachters erzeugt, hat heutzutage sein Pendant im technischen Flimmern der Bildschirmoberfläche gefunden. Die Bildstörung des vormals noch analogen Fernsehers erzeugte von Anfang an eine ungegenständliche schwarz-weiße, krisselig Linienstruktur, die in fortwährender Bewegung blieb. Auch die vollständige technische Veränderung des medialen Bildes änderte an diesem Effekt wenig: Das Rauschen eines Bildschirms erzeugt eine Optik, die eine überraschende Ähnlichkeit in den Werken von Terhuven findet. Allerdings gelingt ihr dieser Effekt – zumal er bei ihr viel subtiler und abwechslungsreicher ist – mittels malerischer Mittel.
Eine weitere Besonderheit in ihrem Werk ist das serielle Arbeiten. Manchmal wiederholt sie die gleiche Komposition und erzeugt durch die Wiederholung eine Verdichtung. Ein anderes Mal behält sie Farben und Grundkomposition bei, verschiebt aber von einem Werk zum nächsten ihre Eingriffe in die lineare Struktur. Sie verändert beispielsweise einzelne Elemente und erzeugt von Bild zu Bild einen neuen Rhythmus. Oder sie spiegelt die vorhandene asymmetrische Komposition. In der Serie wird die Analogie zur Musik oder auch zum Film noch viel deutlicher, denn die Elemente beginnen, sich über die Bildgrenze hinweg in Bewegung zu setzen. Mit ihren seriellen Arbeiten geht Terhuven ganz flexibel um. Mal hängt sie die Werke in eine Reihe, mal in einen Block. In der Formation reagiert sie immer auch auf die räumliche Ausstellungssituation. Für Murnau hat sie sich etwas Besonderes überlegt, was sie bereits für einen anderen sehr außergewöhnlichen Raum erdacht hatte: *3 Terhuven hängt ihre Serien nicht nur horizontal, sondern kreuzt sie mit einer vertikalen Hängung. In Oerlinghausen unterstrich sie diese Kreuzung außerdem, indem die horizontal gehängten Bilder vertikale Linien und die vertikal gehängten Werke horizontale aufwiesen. Der optische Effekt erfasste dadurch den ganzen Raum und hatte durch den stetigen Richtungswechsel eine enorme Entfaltung. Im Schloßmuseum Murnau denkt sie die Hängung von den Ecken aus. Bereits in ihrem Skizzenbuch findet man diese Idee angelegt: Sie zeichnet die Hängung vom Falz aus. In ihrem Werk „Nr. G1/17“ (2017) wechselt sie nicht zwischen horizontalen und vertikalen Strukturen, sondern zwischen zwei Bildformaten. Sie verdoppelt das ursprünglich querrechteckige Format und setzt in die Ecke abwechselnd große und kleine Bilder, von rechts und links eingefügt. Auf der jeweils gegenüberliegenden Seite bleibt immer die Wand frei, sodass ein sehr spezieller Rhythmus der Werke in Wechselwirkung mit der Wandfläche entsteht. Auch hier zeigt sich wieder, dass Terhuven die Trägerfläche ihrer Bilder immer als integralen Bestandteil mitdenkt.

Der Ausstellung in Murnau hat sie den schönen Titel „Lichtungen“ gegeben. Eine Lichtung ist in der Natur eine baumfreie Stelle im Wald. Bei Terhuven kann es vieles sein: die leere Fläche zwischen den einzeln gehängten Glasobjekten im Raum, die Leerstelle zwischen den beiden übereinandermontierten Glasflächen, die leere Stelle zwischen den einzelnen Linien auf dem Bildträger. Der Titel kann aber auch im übertragenen Sinn verstanden werden, wenn sich der Blick zwischen all den vielen verwirrenden optischen Effekten „lichtet“ und ein starker visueller Eindruck zurückbleibt. 

*1 Eine gute Einführung in die Op-Art bietet der Ausst.-Kat. Op Art (Frankfurt a. Main, Schirn Kunsthalle), hg. von Martina Weinhart, Max Hollein, Köln 2007.

*2 Das Schloßmuseum Murnau besitzt mit den Sammlungen Udo und Hedi Dammert sowie Wilhelm Gartner einen hervorragenden Querschnitt an traditioneller Hinterglasmalerei. Die Erweiterung hin zur zeitgenössischen Kunst mit Positionen wie von Gaby Terhuven gehört zum Konzept des Museums.

*3 Im Kunstverein Oerlinghausen stellte Gaby Terhuven bereits 2013 eine ähnliche Variante aus. Vgl. Ausst.-Kat. Gaby Terhuven (Kunstverein Oerlinghausen), Oerlinghausen 2013. 

2017 Simone Schimpf
Katalog Gaby Terhuven "Lichtungen"
Herausgeber: Schloßmuseum des Marktes Murnau
Wechselseitig

Zur Eröffnung der Ausstellung Gaby Terhuvens in der Synagoge Oerlinghausen am 8. September 2013

Liebe Gäste! Liebe Freunde!

Ich freue mich, dass ich heute Frau Gaby Terhuven bei uns begrüßen kann: einen schönen Guten Morgen, liebe Frau Terhuven!

Natürlich, Sie waren schon als Besucherin bei uns, nun sind Sie es als Künstlerin, und wie genau Sie den Raum der Synagoge bei Ihren Besuchen erspürt und erfasst haben, das erweist sich nun bei Ihrer Ausstellung, der Sie den Titel „Wechselseitig“ gegeben haben. Ein vieldeutiger Titel.

Wechselseitig – so will es mir scheinen – wirken hier die Module Ihres Werks, zu denen ich gleich noch etwas sagen möchte, mit eben diesem uns so vertrauten Raum und seinen Licht- und Sichtverhältnissen zusammen. Ein Raum im Raum entsteht: die Synagoge wird höher, leichter, von Licht erfüllter, leuchtender. Die Sterne der kreisrunden Fenster oben in Stirn- und Rückwand können zu Planeten werden, die Fenster Lichtluken eines neu erstandenen Kosmos, die Licht aussenden, nicht nur einströmen lassen, und wir, wir wären Reisende in einem hellen Raumschiff der Schwerelosigkeit, des leichten hellen Traums.

Woher diese Wirkung? Dieser Effekt? Zwei Ursachen kann ich, meine ich, ausmachen: Zum einen: Die Anordnung der Module aus Einzelbildern an den Wänden mit ihren schwingenden, beinahe zarten Farbwerten und Farblinien zu einem genau erwogenen Ganzen bewirkt diesen Eindruck. Zum anderen ist es das Licht der Bilder selbst, das sie fangen und wiedergeben.

Ich nenne sie Module, weil sie alle – es sind 39 – aus dem selben Glas in den gleichen Ausmaßen bestehen. Sie sind 48 cm hoch, 60 cm breit und messen 3 cm in der Tiefe, will sagen: zwei gleiche Glasscheiben sind mit Abstand hintereinander und zur Wand zu einem Bild verbunden; Bild sage ich deshalb, weil beide Scheiben bemalt sind. Glasmalerei sehen wir also, eine Technik ausgeübt schon im Perserreich der Antike, übernommen von den Römern, weitergereicht durch die Jahrhunderte bis zur Blüte in den gotischen Kathedralen, an deren glühende Pracht der Fenster wir uns alle erinnern. Weitergegeben wurde sie bis heute. Von den Kirchenfenstern Chagalls haben wir alle eine zumindest ungefähre Vorstellung. Und natürlich hat sich die Technik verzweigt, und gibt es vielerlei Anwendungsgebiete.

Unsere Vorstellung von Glasmalerei ist geprägt von farbigem Glas, also Farben, die durch Schmelzprozesse das Glas selbst eingefärbt haben. Anders die Bilder hier. Gaby Terhuven bemalt ihre Glasscheiben mit geraden, farbigen Linien: jede Linie trägt sie von Hand mit Pinsel und Ölfarbe auf, und zwar auf jeder Scheibe individuell, sodass die vordere Scheibe des Bildes und die hintere Scheibe nicht deckungsgleich sind, und das Licht dem Auge Räumlichkeit suggeriert, verstärkt durch seine Reflexion auf der weißen Wand, die so selbst wiederum durchlässig erscheint, ein Teil des Bildes, nicht bloße Wand. Die Summe der farbigen Linien verleihen jedem Bild eine eigene farbliche Stimmung, heller, nämlich olivfarben, dunkler, nämlich violett, je nachdem. So können Bilder zu Gruppen zusammen gefügt werden, die farbliche Übergänge ermöglichen, oder aber, wenn gewünscht, auch Kontraste.

In, hinter, vor oder über – Sie sehen, wie schwebend und relativ die Zuordnungen hier werden – durchkreuzen schräge Farblinien die horizontalen oder vertikalen anders gefärbten. Sie bilden ein eigenes kontrastierendes Muster, ein eigenes, gleichwohl korrespondierendes System und erweitern so die Dimension des gesamten Gebildes: Wechselseitig.

Unterschiedliche Farbgebung, unterschiedliche Liniensysteme, unterschiedliche Hell-Dunkel-Werte und Lichtführung erzeugen – so nehme ich es wahr – einen eigenen Rhythmus durch ihre wechselseitigen Schwingungen: er lebt, er pulsiert, er tönt unhörbar: ein eigener – und jetzt greife ich wieder nach dem hohen Wort – ein eigener Kosmos. Die Synagoge umfasst ihn, er ergreift die Synagoge. Unglaublich: ein einzigartiges, einmaliges Kunstwerk entsteht, mit dem wir beschenkt werden: Danke, Gaby Terhuven!

Nein, ich bin nicht zu Ende! Geduld: zwei Dinge möchte ich noch sagen. Natürlich habe ich Frau Terhuven gefragt, ob ihre durch Farben, Abstände, Linien und Licht erzeugten Rhythmen etwa esoterischen Regeln folgen, Abbild im Kleinen sein wollen oder sein sollen: unserer Körper und Schicksale, unseres Sonnensystems, des Alls – so wie es die Pyramiden waren, viele sakrale Bauten des Altertums (auch unsere Synagoge richtet sich ansatzweise in ihrem Ost-West Raumverlauf noch danach), viele mittelalterliche Kirchen und – klingend – viel alte Musik. Die Antwort der Künstlerin ist: Nein. Das heißt, so fasse ich ihre Antwort auf: Sie schafft ihre Kunst aus sich, aus ihrer subjektiven Existenz.

Und dazu lautet mein Kommentar: Sie schafft mit langem Atem und härtester Konzentration aus existentiellem Widerstand zu dem, was sie umgibt. Was sie als ihre Umgebung wahrnimmt, will sie gerade nicht wiedergeben, nicht formen, sondern umformen. Sie verlässt unsere Zeit und schafft eine eigene, in die sie uns mitnimmt. Und könnten wir hören, was wir sehen, was würden wir hören: Bachs Kunst der Fuge? Haydns Schöpfung? - So jedenfalls fühlt sich's an: Ein wunderbares Gefühl, das wir uns einprägen möchten.

Dazu gibt uns Gaby Terhuven noch Hilfestellung: am Fuß der Treppe finden wir zwei ihrer Bilder kleineren Umfangs, doch eigens zu diesem Anlass geschaffen. Man kann sie einzeln erwerben. Das ist in dieser, zu einem eigenen Werk komponierten Werkgruppe nicht möglich. Kein Bild lässt sich herauslösen, nur die Gesamtkomposition lässt sich, dem Raum entsprechend, verändern. Wie könnten wir das wollen?! Wir können nur noch einmal 'Danke' sagen: hierfür. Danke, Gaby Terhuven.


Alexander Gruber, September 2013

Betrachter in Bewegung

Lässt sich ein Kunstwerk „en passant?“, also im Vorbeigehen umfassend betrachten? Zumindest ist es außergewöhnlich, wenn die Künstlerin selbst empfiehlt, ihre Bilder, Malerei auf und hinter Glas, so wahrzunehmen.

Aber gibt es überhaupt eine Chance, die komplexen und vielschichtigen Glasarbeiten von Gaby Terhuven von einem fixen Standort aus vollständig zu erfassen? Wohl kaum. Die Bewegung des Betrachters, das Passieren entlang des Kunstwerks, das Vor- und Zurückweichen, ja der Wunsch auch hinter die Arbeit zu schauen, gehört beim Betrachten der Glasmalerei von Gaby Terhuven selbstverständlich dazu. Und obwohl sich mit jedem Blickwinkel neue Ansichten auftun und unzählige Facetten zur Anschauung kommen, ist das Geheimnis des Kunstwerks nicht zu ergründen. Das zarte Wechselspiel von Farben, Formen und Licht übt eine fast meditative Anziehungskraft aus.

Ganz besonders trifft dies auf die große Wandarbeit zu, die Gaby Terhuven erstmals im Kunstraum des Gelsenkirchener Museums inszeniert. Wie ein horizontales und vertikales Band überzieht die Glasarbeit die große Wand zwischen den bodentiefen Fensterfronten. Abgestimmt auf die Proportionen des Raumes, die Raumwinkel und die Maße der Wände beläuft sich das Gesamtbild auf eine Ausdehnung von 3 m Höhe und 11 m Breite. Es besteht aus 39 Glaskörpern, die einen Umfang von je 48 x 60 x 3 cm haben. Zwei Glasscheiben, von beiden Seiten partiell mit Ölfarbe bemalt, sind mit schmalen Trennstegen auf Abstand hintereinander gefügt. Sie werden wiederum mit Abstand zur Wand aufgehängt, so dass sie vor der Wand zu schweben scheinen.

Gaby Terhuven hat die Arbeit als offenes System konzipiert, d.h. je nach Platz können mehr oder weniger Einzelteile miteinander kombiniert werden. Mal werden nur Ausschnitte gezeigt, Teile herausgenommen oder die Arbeit dehnt sich in Höhe und Breite aus. Die Inszenierung im Gelsenkirchener Kunstraum ist die bislang umfangreichste, die Gaby Terhuven geschaffen hat.

Die linke 19teilige Hälfte ist in Oliveocker gemalt, die rechte 20teilige Hälfte in Violett, allerdings nur auf dem vorderen Glas. Die hinteren Scheiben changieren in sich verändernden Farben von warmen zu kühlen Tönen, so dass eine immer andere Farbwahrnehmung stattfindet.

Ein durchlaufendes horizontales Schleifenband verbindet die beiden unterschiedlich farbigen Bildteile. Es ändert zwar seine Farbe, beim violetten Teil zum Rot und beim olivefarbigen Teil ins Grüne, behält aber seine Form bei. Dadurch ergibt sich ein durchgängiger pulsierender Rhythmus. Er führt den Betrachter am Bild entlang, aber auch ins Bildinnere hinein. Da der Rhythmus von der vorderen Scheibe zur hinteren wechselt, bringt jeder Standpunkt neue Einsichten. Linien verschieben sich, tauchen auf oder ab, liegen über- oder nebeneinander, geben Einblicke ins Bildinnere oder verschließen sich.

Das horizontale Band wird an vier Stellen von vertikalen Bändern durchschnitten. Da diese andere, sich wiederholende Liniensysteme darstellen, kommt es an den Kreuzungspunkten zu Verdichtungen, zu chaotisch anmutenden Liniengeflechten. Aber jedes Band bleibt in seinem System und verändert sich nicht durch die Überschneidung. Dadurch gelingt es, den Blick des Betrachters neben der horizontalen Leserichtung auch in die Vertikale nach oben und unten zu lenken. Das Liniengeflecht verschmilzt zu farbigen Raumzeichnungen, trennt sich dann wieder zu einzelnen Linien und gibt den Blick auf die dahinterliegende Wand frei. Sie wird als helle Farbe ins Bild einbezogen und ist zugleich Projektionsfläche für Licht, Schatten und Reflexionen.

Dabei spielt auch das sich ändernde Tageslicht eine Rolle, das den Glasarbeiten von Gaby Terhuven ein zusätzliches lebendiges Element verleiht. Insbesondere die auf Abstand gehaltene raffinierte Dopplung der Bildträger vor der Wand lenkt den Blick von der Oberfläche in die Tiefe des Bildes. In dem Maße, wie sich das faszinierende Licht-, Farb- und Formenspiel aus dem Inneren des Werkes zu entwickeln scheint, zieht es den Betrachter gleichsam in seinen Bann, sozusagen „en passant?“.

2011 Leane Schäfer, Juni 2011
„Betrachter in Bewegung“
Text für die DVD und das Leporello „Gaby Terhuven en passant?“
Herausgeber: Kunstmuseum Gelsenkirchen
En passant? Malerei auf Glas

Material Jede Form der künstlerischen Arbeit hat ihre eigenen Ursprünge, Anlässe und entsprechende Ergebnisse. Diese allgemeine Feststellung trifft in besonderem Maße auf Gaby Terhuven zu, denn es ist der von ihr verwendete Werkstoff Glas, der bildbestimmend ihr Werk prägt und dem sie sich regelrecht verschrieben hat. Diesem Material mit seiner besonderen Beschaffenheit widmet sie sich seit langer Zeit und mit großer Hingabe, um ihm immer wieder neue Aussagemöglichkeiten abzugewinnen. Hierbei bedient sie sich der simplen Tatsache, dass nur Glas die von ihr gewünschte Materialeigenschaft besitzt, nämlich gleichzeitig Farbträger und dennoch durchsichtig zu sein. Das Ausnutzen dieses Umstandes hat sie zu ihrer künstlerischen Methode erhoben.

Das Malen auf Glas hat Einschränkungen und Bedingungen zur Folge, die von der freien Kunst oftmals nur ungern akzeptiert werden. Glasmalerei wird daher nur noch selten gepflegt, denn mehr als alle anderen Künstler muss sich der „Glasmaler“ - ob er nun will oder nicht - einer weit zurück reichenden Tradition stellen. Überdies ist er an mehrere technische Einschränkungen gebunden. Die Hauptmerkmale des Glases sind seine Eigenschaft, ein Körper zu sein und seine Fähigkeit, zugleich Licht durch sich hindurch zu lassen. Abt Suger von St. Denis (um 1081 - 1151) beispielsweise bezeichnete die Glasfenster in den Kirchen daher als durchlichtete Wände. Wird Glas bemalt und tritt dann Licht hindurch, so leuchten die Farben umso intensiver. Dies leistet kein anderer Malgrund. Welches Material konnte also besser geeignet sein, um in den eher dunklen Kirchen die biblischen Heilsbotschaften darzustellen? Dies trägt auch der Erkenntnis Rechnung, dass das durchlichtete Bild ganz wesentlich den Charakter und die Symbolik eines Raumes bestimmt. Die Lichttheorien des Mittelalters stellten color (Farbe) und splendor (Glanz) des Glases hinsichtlich ihrer nobilitas (Vorzüglichkeit) auf eine Stufe mit den Edelsteinen, die zusammen mit den Edelmetallen als das Wertvollste galten.

Trotz dieser Wertschätzung muss festgestellt werden, dass die Glasmalerei an Architektur gebunden war, nämlich in dienender Funktion als Fenster. In ihrer Geschichte blieb die Glasmalerei lange in ihrer doppelten Umklammerung von architektonischer Einbindung und vorgegebenen Themen stecken. Die Freiheit der Kunst ging an der Glasmalerei zunächst vorüber. Ungeachtet dieser Traditionen besitzt Glas spezifische Materialeigenschaften, die auch heute vielfältige künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Genau dies ist der Ansatzpunkt von Gaby Terhuven. Steht auch die Glasmalerei in uralten Traditionen, so hat sie vielfältig und fruchtbar mit diesen gebrochen und der Glasmalerei zu zeitgemäßen Positionen verholfen.

Die speziellen Eigenschaften des Glases unterscheiden die Glasmalerei von allen anderen Bereichen der Malerei. Neben der Transparenz ist die chemische Widerstandsfähigkeit eine weitere Besonderheit: Im Unterschied zu anderen Farbträgern wie Leinwänden, Holz, Papier oder Karton, saugt Glas bei der Bemalung die Farben nicht auf, sondern lässt sie als bunte Folie auf seiner Oberfläche stehen. Glas geht keine chemische Verbindung mit den Farben ein, sondern lässt sie in ihrer Reinheit bestehen und verleiht ihnen sogar besondere Luzidität. Nur ein Glasbild kann von vorn und von hinten betrachtet werden. Glas ist spröde und glatt zugleich. Wer sich dem Glas als Malgrund verschreibt, muss also viele Rücksichten nehmen, hat aber auch besondere Chancen.

Form

Gaby Terhuven arbeitet mit den traditionsreichen Materialfunktionen des Glases und eröffnet zugleich den Bildfunktionen von Glas neuartige Dimensionen. Ihre Malerei auf Glas ist gleichermaßen Spiegelung und Bild, Innen und Außen durchdringen sich gegenseitig. Die bereits erwähnte Eigenschaft des Glases, ein Körper zu sein und zugleich Licht durch sich hindurch zu lassen, steigert sie, indem sie zwei Glasscheiben hintereinander staffelt, damit sich die Einzelbilder zu einem Gesamtbild ergänzen. Jede Farbgebung hinterlässt Reflexionen und Projektionen auf der nächsten Scheibe, wo sie sich abbildet und weiterreicht. Diese wiederum wirkt mitsamt ihrer Bildinformation auf die nächste Glasscheibe ein. Durch dieses Wechselspiel tritt eine Ergänzung und Bereicherung ein, wobei die Reihenfolge der einzelnen Glasstelen nicht beliebig ist. Das Prinzip der sich ergänzenden Bildformulierung könnte eigentlich beliebig fortgesetzt werden, hat seine Grenzen jedoch in der Lichtdurchlässigkeit der einzelnen Scheiben. Neben der Überlagerung und Schichtung bildlicher Informationen ist je nach Licht und Standpunkt auch deren Verlust festzustellen bzw. deren Zurücktreten in den Hintergrund. Ergänzung und Bereicherung, Verdichtung und Tradierung sind weitere wichtige Aspekte ihrer - im wahrsten Sinne des Wortes - vielschichtigen Bilder.

Zu den technischen Zwängen ihrer Arbeit gehört, dass Formate und auch Farben zuvor festgelegt werden müssen. Maße und Proportionen, Serienhängung oder Fries müssen im Vorfeld abgestimmt und berechnet werden. Dies geschieht in sorgsam ausgeführten Arbeitsskizzen, die zwangsläufig der eigentlichen Arbeit vorgeschaltet sind. Manches Probestück mag herhalten, doch erst im Ergebnis der fertigen Arbeit zeigt sich, ob die gemachten Rechnungen aufgegangen sind. Dies erfordert Fingerspitzengefühl, Sensibilität und vor allem künstlerische Erfahrung. Ihre Werke können daher nie spontaner, sondern immer nur vorab kalkulierter Akt sein. Dies ist auch deswegen erforderlich, weil Glas ein strenger Werkstoff ist: geht die von ihr gewünschte Bildwirkung nicht auf, funktioniert die Arbeit nicht und kann dann eigentlich nur noch zerstört werden.

Im Unterschied zu vielen traditionellen Glasbildern sind die von Gaby Terhuven keine Illustrationen. Sie sind nicht narrativ; sie erzählen keine Geschichte, allenfalls die ihrer eigenen Entstehung. Sie bilden nichts ab, stellen aber etwas dar. Sie sind nicht suggestiv, um den Betrachter zu einem bestimmten Thema zu führen, sondern sie überlassen ihn wie Meditationsbilder seiner eigenen Befindlichkeit. Dies zwingt ihn, in sich zu gehen und sich zu prüfen.

Farbe

Hinsichtlich der verwendeten Farben ist Gaby Terhuven eine Minimalistin. Sie beginnt ihre Arbeit vorwiegend mit einem lichten Weiß, dem sie pro Arbeit nur zwei oder drei weitere Farbtöne hinzuordnet. Durch diese Reduzierung auf möglichst wenige Farben erreicht sie das beabsichtigte Gegenteil, nämlich ein regelrechtes Auffächern der Farbpalette und geradezu Aufstrahlen der jeweiligen Farben in den verschiedenen Tönungen und Nuancierungen. Der Betrachter erblickt im Ergebnis ein reiches und numerisch nicht fassbares Farbenspektrum. Je nach einfallendem Licht und Betrachterstandort ändert sich das Spektrum erneut.

Folglich ist der von ihr gewählte Ausstellungstitel „en passant?“ gleichermaßen Programm und will auch wörtlich verstanden werden: im Vorübergehen. Er bezieht sich auf die Erkenntnis, dass ihre Bilder eine besondere Form der Wahrnehmung und der Rezeption erfordern und auch ermöglichen, wenn der Betrachter ihnen nicht nur frontal gegenübersteht, sondern auch an ihnen vorüber schreitet.

Gaby Terhuven verwendet überwiegend helle, klare und luzide Farben. Sie treten nie in ihrer Eindeutigkeit und Klarheit auf, sondern in verhaltenen und gebrochenen Werten, die den diffusen Charakter ihrer Bilder bestimmen. Hierdurch erreicht sie in ihren Bildern eine Betonung des Geistigen. Sie ist eine Malerin der leisen Töne und der zarten Akkorde, wenn man einmal eine Beschreibung aus der Musik auf die Kunst übertragen darf. Und bleiben wir bei diesem Bild, so bestehen ihre Akkorde nur aus wenigen Tönen, das heißt sie könnten mit nur einer Hand auf der Klaviatur angeschlagen werden.

Sie zelebriert geradezu die Sinneslust beim Betrachten ihrer Bilder und veranschaulicht die Flüchtigkeit unseres Sehens gleichermaßen. Vielleicht könnte man ihre Bilder als kleine Manifeste von Erinnerungen bezeichnen, denn es sind ja nicht sie, die sich ändern, sondern wir ändern uns, nämlich als Betrachter.

Licht

Licht ist in der Malerei eine reine Illusion, eine Sinnestäuschung, die künstlich durch die Farben erzeugt werden muss. Im Glas hingegen ist das Licht materialimmanent und dadurch beständig vorhanden. Hierdurch erhält es eine völlig andere Bedeutung und auch Qualität, die sich grundlegend von dem Beleuchtungslicht unterscheidet, das „normale“ Bilder benötigen, um wahrgenommen zu werden. Mehr als bei diesen führt beim Glasbild der natürliche oder künstliche Wechsel des Lichts zu einer beständigen Veränderung der Farbwirkung und damit verbunden der Wahrnehmung des Betrachters.

Licht bedeutete den Menschen von jeher sehr viel. Die Menschen früherer Zeiten verstanden Licht als eine geistige Qualität. Licht im Sinne von Erleuchtung bedeutete Erkenntnis. Heute ist Licht jederzeit per Knopfdruck verfügbar und daher in starkem Maße der Beliebigkeit ausgesetzt. Es ist zum Massenphänomen degradiert und muss oft rein merkantilen Zwecken dienen. Diese reduzieren Licht auf seine rein physikalischen Eigenschaften. Das „Leuchtendste“, das uns täglich begegnet, sind die Leuchtreklamen marktschreierischer Neonröhren. Sie erwecken den irrigen Eindruck, dass nur das Hellste auch das Wichtigste sei. Wo dies noch immer nicht ausreicht, muss Licht mit flackernden Stroboskopen und Strahlern in Bewegung gesetzt werden.

Die Wirkung der Glasbilder von Gaby Terhuven würde durch derartiges Licht zerstört. Sie hingegen benötigen das gleichmäßig flutende und strömende Licht. Es ist zudem ein Bildlicht, das extrem durch das Umgebungslicht beeinflusst wird. Je nach Platzierung im Raum, Sonnenstand, Jahreszeit und Tageszeit verändert sich das Wahrzunehmende auf nachhaltige Weise. Ihr Bildlicht ist genau das Gegenteil von dem Licht, das uns die Werbung im Alltag vorgaukelt. Denn es zeigt uns nicht Vermeintliches, sondern Wahres.

Rhythmus

Gaby Terhuven erarbeitet ihre Bilder mit ebenso großer Beharrlichkeit wie Innovationslust. Hierzu bedarf es eingehender Planungen, die in Skizzenbüchern festgehalten werden. Denn ihre Art der Bilderstellung erlaubt keinen spontanen Malakt, sondern erfordert exakte Entwürfe. Dies betrifft einerseits die Farben in ihrer Abgrenzung voneinander, insbesondere aber deren Rhythmisierung, wodurch die Bilder ihr eigentliches Leben entwickeln. Ruhe und Bewegung, Zeitlichkeit und Dauer: diese Gegensatzpaare sind wesentlicher Ausdruck ihrer Bilder.

Sie entwirft Strichcodes und Chiffren und überzieht damit sequenzartig die einzelnen Glasscheiben. Dies verleiht den Arbeiten ihren besonderen Klang und ihre Atmosphäre. Die Anordnung ihrer Codes scheint bisweilen verschlüsselt zu sein, orientiert sich aber vielfach an exakt ausgearbeiteten Ordnungssystemen. Die Bilder basieren quasi auf einer wundersamen Balance zwischen Kalkül und Erfahrung auf der einen Seite - wenn sie ihre Bilder plant - und Überraschung und Erstaunen auf der anderen - wenn die Arbeiten fertig sind.

Ihre Codierungen sind scheinbar in ständiger Veränderung begriffen und bewirken ein flutendes Changieren der Farbtöne. Daher bedürfen ihre Arbeiten keinerlei gegenständlicher Anbindung, denn genau von diesem Phänomen würde dann nur abgelenkt werden. Verhalten und zurückhaltend wie ihre Arbeiten nun mal sind, entwickeln sie doch eine erstaunliche Lebendigkeit. Als zart getaktet könnte man den Rhythmus ihrer Bilder beschreiben.

Symbiose

Nach all’ meinen Überlegungen möchte ich noch einmal zum Thema „Form“ zurückkommen. Denn die Bildaussagen von Gaby Terhuven vermitteln sich zwar über Farben und deren Rhythmisierung, aber die Basis ihrer Arbeit ist die zuvor festgelegte Form. Ihr sind Farben und Rhythmus untergeordnet. Aber nicht in der Hierarchie der Komponenten liegt die Bereicherung für uns als Betrachter, sondern in deren geglückter Symbiose. Über diese grundlegende Bereicherung des Menschen durch die Kunst, die über das Veranschaulichen von bereits Bekanntem hinausgeht, sagte der Maler Fritz Winter (1905 - 1976) „... es ist nicht entscheidend, ob einer malen kann, sondern ob er einer Idee Gottes Form geben kann, dass sie dem anderen eine Erkenntnis und somit ein Leuchten auf der Bahn seines Lebens sein kann.“ Mit diesen drei Begriffen - Form, Erkenntnis, Leuchten - sind die Bilder Gaby Terhuvens ebenso einfach wie treffend beschrieben.




2010 Martin Gesing
„En passant? Malerei auf Glas.“
Katalog „Gaby Terhuven en passant?“
Herausgeber: Stadtmuseum Siegburg, Stadtmuseum Beckum, Kunstmuseum Gelsenkirchen
Transparenz, Bewegung und Rhythmus

Gaby Terhuven präsentiert in der ehemaligen Reichsabtei Aachen-Kornelimünster ihre sensiblen, unaufdringlichen Glasarbeiten, die Themen wie transparente Lichtdurchlässigkeit, diffuse Raumerlebnisse, fast musikalisch zu nennende Rhythmik und die Vorstellung vom Fluss der Zeit in suggerierten Bewegungsabläufen vielfältig variieren. Die Künstlerin schafft zwischen Malerei und dreidimensionaler Objekthaftigkeit angesiedelte, das Licht modulierende Gebilde, die aus mehreren Schichten hintereinander gestellter gleich großer Glasscheiben bestehen. Die einzelnen Scheiben werden partienweise auf der Vorder- und Rückseite mit Ölfarbe in Weißtönen oder sehr zurückgenommener, pastelltoniger Farbigkeit bemalt. Die gleich bleibenden Abstände der Scheiben, die in einer gemeinsamen Halterung auf Abstand vor die Wand montiert werden, lassen das Licht sozusagen von vorne und hinten, aber auch von oben eindringen, was eine diffuse, die tatsächlichen Raumverhältnisse im Unklaren lassende tiefenräumliche Wirkung hervorruft, deren Effekte sich mit dem Wechsel des Lichteinfalls und des Betrachterstandpunktes ständig verändern.

In aller Regel fügt Gaby Terhuven mehrere gleichförmige bemalte „Glaspakete“ zu friesartigen horizontalen oder senkrecht übereinander angeordneten, blockartigen Arrangements zusammen. Die Bemalung solcher mehr- bzw. vielteiliger Werke betreibt sie nach einem festen, vorher konzipierten Plan. Die flächigen, in horizontalen, senkrechten oder auch diagonalen Streifen angeordneten farbigen Setzungen, die im einzelnen bis hin zu präzise formulierten Strichen minimiert werden, folgen einem seriellen, die Flächen aller einzelnen Segmente berücksichtigenden strukturierenden Gestaltungsprinzip. So entstehen aufeinander bezogene Bildsequenzen, deren Rhythmisierung an das An- und Abschwellen von Tönen erinnert, zumal sich die Abläufe nicht nur sozusagen von rechts nach links auf der Fläche abspielen, sondern auch ein Vor und Zurück in die Tiefe des Raums veranschaulichen. Insbesondere die diagonalen Verschiebungen – hier erweisen sich bei näherer Betrachtung einzelne Strichlagen auch als gekrümmt – suggerieren dem Betrachter taktmäßige Bewegungsabläufe, die das Moment der Zeit einbeziehen in einer Art und Weise, wie es ebenfalls im Wesen der seriellen Musik liegt. Die lichte, luftige Materialität der Glasarbeiten Gaby Terhuvens birgt insgesamt zusammen mit der rhythmischen, planmäßigen Malerei eine große Nähe zum immateriellen Wesen der Musik. Im Kontrast zur digitalisierten technischen Welt der Strichcodes, Kardiogramme und optischen Anzeigen, die sicher als Anregung gelten können, schafft Gaby Terhuven mit ihren sensiblen, offenen Werken für den Betrachter einen sinnlichen Freiraum von eigenständiger nobler künstlerischer Qualität.
Maria Engels


2007 Maria Engels
„Transparenz, Bewegung und Rhythmus“
Leporello „Gaby Terhuven vis à vis Malerei auf Glas“
Herausgeber: Kunst aus NRW, ehemalige Reichsabtei, Aachen-Kornelimünster
Sequenzen

Die Glasarbeiten der Künstlerin Gaby Terhuven beweisen sich als dreidimensionale Farbraumgemälde, die in ihrer gleichzeitig immateriellen wie materiellen Präsenz den Raum verändern und die Malerei, mit der sie gestaltet sind, in eine skulpturale Dimension erweitern. Die Künstlerin arbeitet seit vielen Jahren mit dem Material des Glases, das sie in mehreren Ebenen hinter- und nebeneinander setzt und das sie mit farblichen Gestaltungen sowohl auf der Oberfläche als auch auf der Rückseite der Glasflächen bearbeitet, so dass die Malerei in verschiedenen Ebenen von Dichte und Entfernung wirksam wird. Die Künstlerin geht dabei von geraden und klassischen Formsetzungen aus. Striche und Flächen in der Horizontalen, Vertikalen und in leichten Abweichungen davon strukturieren die voreinander gesetzten Glasplatten zunächst in methodisch klare, nahezu ornamental-serielle Strukturen, die aber jeweils unterschiedlich in Reihung aneinander stoßen, so dass sowohl der Eindruck der Gleichartigkeit wie der Veränderung thematisch wird. Die Abweichungen, mit denen Gaby Terhuven ganz bewusst in ihren Bildobjekten arbeitet, erhöhen die erste Wirkung von Gesetzmäßigkeit und Regelmäßigkeit noch und bestimmen die Arbeiten nachhaltig.

Die Künstlerin ist in der Gestaltung ihrer Werke zunächst von einem Höchstmaß an Minimalismus geprägt. Sie verwendet daher vorwiegend die Farbe Weiß, der sie pro Arbeit höchstens ein bis zwei geringe zusätzliche Farbakzente zuordnet, die die Reduzierung der Farbpalette nur unterstreichen anstatt sie zu zerstören. In gleichmäßigen Strukturen schafft sie so zunächst Ordnungsgefüge auf den Glasflächen, die sich malerisch durch die Dichte der Farbigkeiten unterscheiden. Weiße Lasuren, auf die Oberfläche des Bildes gebracht, variieren zwischen transparent und deckend, ein Weiß, das sich auf der Rückseite des Glases befindet, ist bereits durch die Schicht von Glas, durch die man auf die Fläche blickt, abgemildert und in ihrer Materialität reduziert. Stärkeres gilt für die zweite Platte hinter der ersten Aufsichtsplatte, die dann in weiteren Schritten Farbräume offen legt, deren genaue Präzisierung dem Betrachter verborgen bleibt. So entsteht eine Vielzahl von räumlichen Werten in der einzelnen Arbeit, die jedoch selbst nur wenige Zentimeter dick von der Wand absteht.

Diese malerischen Glasobjekte variiert Gaby Terhuven auch durch deren Anzahl. Sie wiederholt sie, setzt sie zu Serien von mehrfach gegliederten Bildobjekten zusammen, wobei die einzelnen Platten immer wieder graduell leicht voneinander abweichen, in ihrem Prinzip jedoch die Gleichförmigkeit und darin wiederum die Individualität unterstreichen.

In den jüngsten Arbeiten ergänzt Gaby Terhuven die Dominanz der waagerechten und senkrechten Strukturelemente durch eine Ebene der Diagonale, die sie wie einen Schatten im Hintergrund laufen lässt. Durch dieses Element werden die Arbeiten gleichsam hinterfangen und je nach Betrachterstandpunkt in eine noch stärkere dynamische Wirkung gebracht. Der Betrachterstandpunkt ist in den Arbeiten von Gaby Terhuven ein ganz wichtiger Bestandteil. Durch die hintereinander geschichteten Glasplatten und deren verschiedene Transparenzen und Räume, die sich zwischen den einzelnen Abständen ergeben, verändern sich die Arbeiten mit jedem Schritt der Betrachtung. Die Verwandlung, die sich je nach Blickwinkel auf die Arbeit ergibt, wird zum Bestandteil der Wahrnehmung und lässt die Arbeiten in einen ständigen Fluss von Raum und Farbigkeiten eintreten. Die Bildobjekte, in denen Gaby Terhuven mit diagonal hinterfangenden Streifenelementen arbeitet, haben darüber hinaus eine Wirkung, die sie wieder unmittelbar mit dem Materialstoff des Glases in Beziehung setzen lässt. Wie ein Streiflicht von der Seite, ein imaginärer Lichteinfall durch ein Glas, wirken jene diagonal gesetzten Lichter, die sich aber nicht auf, sondern in den Arbeiten befinden, sie gleichsam von hinten tragen. Diese merkwürdige Ambivalenz zwischen einer transparenten Erscheinung, die man normalerweise auf der Oberfläche der Dinge vermuten würde, in eine lichthafte Erscheinung, die aus dem Bild selbst heraus wirkt, verstärkt den farbräumlichen Charakter der Arbeiten und vermittelt als neues Element eine Plastizität in den Werken, die fast illusionistischen Charakter gewinnt. Dieses neuere Element in den Bildobjekten von Gaby Terhuven entwickelt in jenen Arbeiten, in denen die diagonalen Setzungen sogar einen leichten Grad der Krümmung zeigen, fast den Charakter bewegungsdynamischer Impulse, die in die Arbeiten mit einbezogen sind. Dieses neue „Stakkato-Element“ betont die rhythmische und bisweilen fast musikalisch- kompositionelle Auffassung der Werke von Gaby Terhuven, die in ihrer Aneinanderreihung von scheinbar gleichen Variationen des selben Themas immer wieder im Grade ihrer Veränderung jenen Aspekt von modularer Komposition, wie sie auch in Werken zeitgenössischer Musik zu finden ist, aufgreift und „durchspielt“.
Gabriele Uelsberg


2006 Gabriele Uelsberg
Katalog „Gaby Terhuven Sequenzen“
Herausgeber: Galerie Gudrun Spielvogel, München
Gaby Terhuven bei Lausberg | Zart im Takt

Die Arbeiten Gaby Terhuvens sind nichts für Liebhaber lauter Töne. Der Rhythmus ihrer Kunst schwingt leise, setzt ein – kaum hörbar in den Grenzbereichen der Wahrnehmung. Folgt man ihm, so öffnen sich Räume aus Luft, Licht und Bewegung, Räume, die schwingen im Takt der Zeit, die Leere atmen, Materie auflösen, Licht einfangen. Es sind immaterielle, konstruierte, nicht fassbare Gehäuse, die pulsieren, vibrieren, schwingen und verschwinden, sobald ihnen die Aufmerksamkeit entzogen wird.

Die starren und zerbrechlichen Glasbilder haben Leinwand, Farbe, Gegenstand, alles Bunte und Satte der Malerei hinter sich gelassen. Sie wirken klar, unspektakulär, auf den ersten Blick wenig aufregend. Wie können sie dennoch aus ihren Tiefenschichten eine solch vibrierende Wirkung erzeugen?

Zwei Glasscheiben sind hintereinander gesetzt, in geringem Abstand zueinander wie auch zur Wand, so dass „diese als fünfte Seite miteinbezogen wird“, erläutert die Düsseldorfer Künstlerin. Sie setzt Ölfarbe in schmalen Streifen, in zarten Linien vertikal und horizontal über und hinter die Scheiben, rastert das Format, bewegt die Fläche, variiert den Rhythmus der Überlagerungen.

Die farbige Wirkung ist verhalten. Die matten Grün – Weiß -, die gebrochenen Grau – Gelb – Töne werden durchzogen von einer Linie in trübem Orange, das in der faden Umgebung schon intensiv wirkt. Lebendig werden die Farben, sobald Licht in die milchige Transparenz des Glases fällt; wenn der Betrachter vor den Scheiben sich bewegt; die durch das Material bedingte Struktur erfasst; die durch den Lichteinfall betonten Tiefen abtastet; die gleichmäßige Rasterung der Streifen zu Bildern synthetisiert. Die gläsernen Hüllen reagieren auf ihre Umgebung wie Bilder, die fotografieren, indem sie Licht umschließen, Bewegungssequenzen entwickeln, Zeittakte abbilden und dabei den Wechsel der Tageszeiten in immer neuen Facetten spiegeln.

Inhaltlich erinnern sie an Leuchtschriften, Strichcodes, kardiografische Ströme, an musikalische Taktierungen, den Fluss von Bildern in Bewegung. Und in manchen Aspekten ist ihre Arbeit dem Werk Mondrians verwandt, einfach und konkret, grenzenlos offen, subjektiv.
Christiane Dressler


2004 Christiane Dressler 
Artikel zur Ausstellung „Intervalle“
Galerie Bernd A. Lausberg
Rheinische Post, Düsseldorf
Stillstand, Bewegung

Zeit, überhaupt um Zeit gehe es in ihren Arbeiten, sagt Gaby Terhuven: das Vergehen von Zeit, welche sukzessive wahrgenommen, erfahren wird. Rhythmus, ein wiederholtes Einsetzen und Innehalten sind Momente, die hier vorkommen und thematisiert werden. Dabei entwickeln sich ihre Arbeiten linear–meist horizontal von links nach rechts- und gleichzeitig spielen sie sich, tatsächlich mehrere Ebenen umfassend, in die Tiefe hin ab. Andererseits spiegelt sich der Außenraum auf und in den Oberflächen.

Gemeinhin werden Gaby Terhuvens Werke der konkreten Kunst zugeordnet; sie rekurrieren auf einem horizontalen-vertikalen Raster mit vorher festgelegten Prinzipien. Sie sind gegenstandsfrei und bestehen aus gleichen Modulen, die mit regelmäßigem Abstand neben oder/und übereinander hängen. Sie agieren mit Wiederholungen und einer seriellen Struktur bei minimalen Verschiebungen... Zwei Glasscheiben sitzen mit etwas Abstand zueinander und zur Wand bündig übereinander.In Streifen oder Linien ist Ölfarbe sorgfältig auf und hinter die Glasscheiben gestrichen, so daß matte und spiegelnde Flächen entstehen. Die Maßnahmen bleiben sich innerhalb der Arbeit gleich, die Linien haben den gleichen Farbton und die gleiche Länge. Sie tauchen auf den verschiedenen Ebenen auf und scheinen in dem grüntonigen, von milchiger Transparenz gebrochenen Vakuum zu schwimmen, überhaupt selbst in Bewegung. Jedoch handelt es sich hier um bildhafte Darstellungen, generell um Malerei.

Gaby Terhuven wurde 1960 in Oberhausen geboren, an der Fachhochschule in Köln hat sie Malerei studiert. Schon in ihren Gemälden auf Leinwand oder Papier arbeitet sie mit gegenstandsfreien Formulierungen. In lockerem Duktus sind Linien und Bahnen gezogen, überlagern und gliedern teils als Rapport analoger Abläufe kleinere Felder. Flächen werden geschichtet, wobei rahmenartige Strukturen das Bild organisieren. So sind Farbabläufe um die Ausschnitte aus Röntgenaufnahmen gesetzt. Innen-Außen, Einblick und Durchblick, Teilung in Sequenzen also schon hier, 1993/94, wenngleich sich das Geschehen - oft in pastellener Tonigkeit – noch auf der Fläche abspielt...

Natürlich sind das alles Bilder von heute, zeitgenössisch in ihrem Vokabular und den Assoziationen, die sie auslösen. Die Arbeiten mit dem Träger Glas, wie sie Mitte der neunziger Jahre entstehen, lassen an digitale Bilder, binäre Systeme denken, vielleicht kardiographische Ströme, in ihrer Anmutung ebenso an Leuchtschriften, gewiß an Strichcodes. Gaby Terhuven selbst weist auf Neue Musik, deren Serialität und Stille, die Rolle von Pausen und das An- und Abschwellen von Tönen. Das Blattwerk vor dem Atelierfenster spiegelt sich in den Arbeiten. Natürlich, an Architekturen kommen einem in den Sinn, die Rasterstrukturen in Glasfassaden- je mehr man sich auf diese Arbeiten einläßt, desto komplexer wird das Geschehen und bleibt doch auf sich konzentriert.

Denkbar wäre eine Arbeit aus vielen Modulen, die eine Wandseite komplett einnehmen, oder eine Arbeit, die als Fries über alle Wände eines Raumes läuft. „Die Gliederung der Bildfläche und das Ineinandergreifen von Innen und Außen im realen Bildraum finden ihre Entsprechung in der gleichzeitig ablaufenden Bewegung“, hat Gaby Terhuven vor einiger Zeit geschrieben. „Es entsteht ein Zusammenspiel von Raum und Bewegung im Bild“: Der Betrachter wird Teil der Arbeit, zwischen meditativem Innehalten und einem aktiven Analysieren.
Thomas Hirsch


2003 Thomas Hirsch
„Stillstand, Bewegung“
Künstlerportrait in choices, Köln
Raster und Sequenzen

Durchaus sind die Arbeiten von Gaby Terhuven dem Bereich der Konkreten Kunst zuzuordnen: im Gegenstandsfreien ihrer Darstellung, in der strengen Ordnung überwiegend aus Vertikalen und Horizontalen, in der rasterartigen Struktur, welche mathematischen Regeln zu folgen scheint. Stimmt nicht, sagt Gaby Terhuven. Vielmehr sind ihre Arbeiten, ausgehend von einigen prinzipiellen Entscheidungen, intuitiv entwickelt. Es sind Kunstwerke zwischen Malerei und Objekt, die bildhaft bleiben und sich auf mehreren räumlichen Ebenen abspielen. Gaby Terhuven, die 1960 geboren wurde, in Köln an der Fachhochschule Malerei studiert hat und mittlerweile in Düsseldorf lebt, realisiert ihre Arbeiten seit Mitte der Neunzigerjahre mit Glasscheiben als Träger. Zwei Scheiben sind übereinander gesetzt, mit geringem Abstand zueinander wie auch zur Wand, sodass diese „als fünfte Seite miteinbezogen wird“, wie Gaby Terhuven schreibt. Sie setzt Ölfarbe als Streifen bzw. Linien auf und hinter die Scheiben, wobei das Repertoire und die Farbigkeit reduziert bleiben, die Setzungen in ihrer Abfolge und zwischen den verschiedenen Ebenen gering variieren. Mehrere Modelle hängen mit wenig Abstand nebeneinander; die Verschiebungen finden über diese oft queroblongen Formate hinweg sukzessive statt. Seltenen entstehen hochformatige Arbeiten, im Übereinander analoger Elemente, oder einteilige Arbeiten. Diese Bilder untersuchen, analysieren formale Aspekte. Der Betrachter ist schon einbezogen, indem er sich in den teils glänzenden, teils matten Scheiben abschnittsweise spiegelt. Und es werden spezifisch zeitgenössische Assoziationen aufgerufen. An digitale Codes und kardiographische Ströme könnte man denken – an eine Welt, die selbst hochästhetisch ist und ihre Informationen über zeichenhafte Sprachen austauscht.

In aller Präzision bleiben diese Arbeiten Malerei, sinnlich und individuell. Sie lassen die Annäherung an ihre Oberfläche zu; der Pinselstrich ist zu sehen, seitlich oder von oben kann man in die Glasscheiben schauen. Überhaupt ist der Betrachter mit seiner Aktivität wesentlich für diese Arbeiten. Mit dem Innehalten und dem Voranschreiten wechselt der Eindruck zwischen Meditation, konzentrierten Verharren und lebendigem Rhythmus. Als Horizontale, Vertikale, auch Schrägen scheinen die Streifen wie Leuchtschriften zu fließen. Ein Prozess ist beschrieben, in dem Zeit mehr und mehr zum zentralen Thema wird. Vor Gaby Terhuvens Bildern vergewissert sich der Betrachter seiner selbst, hinterfragt schließlich vielleicht seinen Standpunkt in der medialisierten Industriegesellschaft: Zeit versteht sich hier als Erleben der eigenen Existenz.
Thomas Hirsch


2003 Thomas Hirsch
„Raster und Sequenzen“
Düsseldorfer Hefte, Oktober 2003, Nr. 10/2003
Gabriele Stirl, Gaby Terhuven, Peter Vogel

Gaby Terhuven verwendet als Bildträger Glasscheiben, die mit hellgrundiger Ölfarbe partiell hinter- oder übermalt werden. Jeweils zwei Glasscheiben werden mittels schmaler Trennstege zu einem doppelwandigen Bild – Gebilde zusammengefügt, das seitliche Einblicke in sein Inneres gewährt und damit als ein mehrschichtiges Raumgefüge in Erscheinung tritt. Der Farbauftrag erfolgt in glatten, gleichmäßigen Pinselbahnen, die sich unter Vermeidung sichtbarer Übergänge zu einheitlichen Flächen zusammenschließen. An Stellen, wo mehrere hauchdünne Farbschichten das Glas bedecken, ergibt sich ein matter Flächenraum, der ein kompositorisches Gegengewicht zu den von der Farbe unbedeckten, im Licht glänzenden und den Umraum ausschnitthaft reflektierenden Glasflächen bildet. Vorherrschend sind horizontale und vertikale Bildwerte, die das jeweilige Werk mit einer klar konturierten Architektur aus Linien und Flächen überziehen. Die bewusst anonym gehaltene, rhythmisch angelegte Struktur aus Flächen, Linien und Punkten weckt Erinnerungen an die signifikante Präsenz von mathematischen Strichcodes oder maschinell lesbaren Graphemen.

Ebenso assoziierbar ist die nähe zur seriellen Musik, wo sich in ähnlicher Weise aus nur leichten Variationen von festgelegten Elementen ein bestimmtes System von Unterbrechungen und Wiederholungen in Zeiteinheiten ergibt. Bewußt tritt die Künstlerin hinter ihr Werk zurück. Individualität äussert sich in bestimmten Setzungen und Entscheidungen, die den Einsatz von bildbestimmenden Strukturelementen und deren Einbindung in seriell geordnete Systeme betreffen. Sie offenbart sich zudem in der subtilen Verwendung rhythmischer Konstanten, im ausbalancierten Verhältnis von Transparenz und Dichte, von Fülle und Leere sowie in den abgestuften Helligkeitswerten. Die Werke Gaby Terhuvens üben sich in stiller Zurückhaltung. Aus ihrer formalen Reduktion erwächst eine eigene Poesie, die den Blick auf das Wesentliche hinter der Erscheinung lenkt. Zeit ist der wichtigste Faktor, den jeder Rezipient für sich zu investieren hat, um den eigenen Rhythmus der seriell angelegten Formvariationen in sich aufzunehmen und der Bewegung, die von dem aus geformten System ausgeht und den Bildträger wie eine Notation überzieht, zu folgen.
Dr. Uwe Schramm


1999 Uwe Schramm
Katalog „Gabriele Stirl, Gaby Terhuven, Peter Vogel“
Herausgeber: Kunstverein Münsterland, Coesfeld
Kunstmuseum Alte Post, Mülheim a.d.Ruhr 

G7-10 Detail,    Ausstellungsansicht,    Oerlinghausen    2013

Ausstellungsansicht,     Zwischenräume,    Kunstmuseum Gelsenkirchen     2018

Messe-Stand,     Galerie Hoffmann,     art cologne     2023 

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