En passant? Malerei auf Glas
Material Jede Form der künstlerischen Arbeit hat ihre eigenen Ursprünge, Anlässe und entsprechende Ergebnisse. Diese allgemeine Feststellung trifft in besonderem Maße auf Gaby Terhuven zu, denn es ist der von ihr verwendete Werkstoff Glas, der bildbestimmend ihr Werk prägt und dem sie sich regelrecht verschrieben hat. Diesem Material mit seiner besonderen Beschaffenheit widmet sie sich seit langer Zeit und mit großer Hingabe, um ihm immer wieder neue Aussagemöglichkeiten abzugewinnen. Hierbei bedient sie sich der simplen Tatsache, dass nur Glas die von ihr gewünschte Materialeigenschaft besitzt, nämlich gleichzeitig Farbträger und dennoch durchsichtig zu sein. Das Ausnutzen dieses Umstandes hat sie zu ihrer künstlerischen Methode erhoben.
Das Malen auf Glas hat Einschränkungen und Bedingungen zur Folge, die von der freien Kunst oftmals nur ungern akzeptiert werden. Glasmalerei wird daher nur noch selten gepflegt, denn mehr als alle anderen Künstler muss sich der „Glasmaler“ - ob er nun will oder nicht - einer weit zurück reichenden Tradition stellen. Überdies ist er an mehrere technische Einschränkungen gebunden. Die Hauptmerkmale des Glases sind seine Eigenschaft, ein Körper zu sein und seine Fähigkeit, zugleich Licht durch sich hindurch zu lassen. Abt Suger von St. Denis (um 1081 - 1151) beispielsweise bezeichnete die Glasfenster in den Kirchen daher als durchlichtete Wände. Wird Glas bemalt und tritt dann Licht hindurch, so leuchten die Farben umso intensiver. Dies leistet kein anderer Malgrund. Welches Material konnte also besser geeignet sein, um in den eher dunklen Kirchen die biblischen Heilsbotschaften darzustellen? Dies trägt auch der Erkenntnis Rechnung, dass das durchlichtete Bild ganz wesentlich den Charakter und die Symbolik eines Raumes bestimmt. Die Lichttheorien des Mittelalters stellten color (Farbe) und splendor (Glanz) des Glases hinsichtlich ihrer nobilitas (Vorzüglichkeit) auf eine Stufe mit den Edelsteinen, die zusammen mit den Edelmetallen als das Wertvollste galten.
Trotz dieser Wertschätzung muss festgestellt werden, dass die Glasmalerei an Architektur gebunden war, nämlich in dienender Funktion als Fenster. In ihrer Geschichte blieb die Glasmalerei lange in ihrer doppelten Umklammerung von architektonischer Einbindung und vorgegebenen Themen stecken. Die Freiheit der Kunst ging an der Glasmalerei zunächst vorüber. Ungeachtet dieser Traditionen besitzt Glas spezifische Materialeigenschaften, die auch heute vielfältige künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Genau dies ist der Ansatzpunkt von Gaby Terhuven. Steht auch die Glasmalerei in uralten Traditionen, so hat sie vielfältig und fruchtbar mit diesen gebrochen und der Glasmalerei zu zeitgemäßen Positionen verholfen.
Die speziellen Eigenschaften des Glases unterscheiden die Glasmalerei von allen anderen Bereichen der Malerei. Neben der Transparenz ist die chemische Widerstandsfähigkeit eine weitere Besonderheit: Im Unterschied zu anderen Farbträgern wie Leinwänden, Holz, Papier oder Karton, saugt Glas bei der Bemalung die Farben nicht auf, sondern lässt sie als bunte Folie auf seiner Oberfläche stehen. Glas geht keine chemische Verbindung mit den Farben ein, sondern lässt sie in ihrer Reinheit bestehen und verleiht ihnen sogar besondere Luzidität. Nur ein Glasbild kann von vorn und von hinten betrachtet werden. Glas ist spröde und glatt zugleich. Wer sich dem Glas als Malgrund verschreibt, muss also viele Rücksichten nehmen, hat aber auch besondere Chancen.
Form
Gaby Terhuven arbeitet mit den traditionsreichen Materialfunktionen des Glases und eröffnet zugleich den Bildfunktionen von Glas neuartige Dimensionen. Ihre Malerei auf Glas ist gleichermaßen Spiegelung und Bild, Innen und Außen durchdringen sich gegenseitig. Die bereits erwähnte Eigenschaft des Glases, ein Körper zu sein und zugleich Licht durch sich hindurch zu lassen, steigert sie, indem sie zwei Glasscheiben hintereinander staffelt, damit sich die Einzelbilder zu einem Gesamtbild ergänzen. Jede Farbgebung hinterlässt Reflexionen und Projektionen auf der nächsten Scheibe, wo sie sich abbildet und weiterreicht. Diese wiederum wirkt mitsamt ihrer Bildinformation auf die nächste Glasscheibe ein. Durch dieses Wechselspiel tritt eine Ergänzung und Bereicherung ein, wobei die Reihenfolge der einzelnen Glasstelen nicht beliebig ist. Das Prinzip der sich ergänzenden Bildformulierung könnte eigentlich beliebig fortgesetzt werden, hat seine Grenzen jedoch in der Lichtdurchlässigkeit der einzelnen Scheiben. Neben der Überlagerung und Schichtung bildlicher Informationen ist je nach Licht und Standpunkt auch deren Verlust festzustellen bzw. deren Zurücktreten in den Hintergrund. Ergänzung und Bereicherung, Verdichtung und Tradierung sind weitere wichtige Aspekte ihrer - im wahrsten Sinne des Wortes - vielschichtigen Bilder.
Zu den technischen Zwängen ihrer Arbeit gehört, dass Formate und auch Farben zuvor festgelegt werden müssen. Maße und Proportionen, Serienhängung oder Fries müssen im Vorfeld abgestimmt und berechnet werden. Dies geschieht in sorgsam ausgeführten Arbeitsskizzen, die zwangsläufig der eigentlichen Arbeit vorgeschaltet sind. Manches Probestück mag herhalten, doch erst im Ergebnis der fertigen Arbeit zeigt sich, ob die gemachten Rechnungen aufgegangen sind. Dies erfordert Fingerspitzengefühl, Sensibilität und vor allem künstlerische Erfahrung. Ihre Werke können daher nie spontaner, sondern immer nur vorab kalkulierter Akt sein. Dies ist auch deswegen erforderlich, weil Glas ein strenger Werkstoff ist: geht die von ihr gewünschte Bildwirkung nicht auf, funktioniert die Arbeit nicht und kann dann eigentlich nur noch zerstört werden.
Im Unterschied zu vielen traditionellen Glasbildern sind die von Gaby Terhuven keine Illustrationen. Sie sind nicht narrativ; sie erzählen keine Geschichte, allenfalls die ihrer eigenen Entstehung. Sie bilden nichts ab, stellen aber etwas dar. Sie sind nicht suggestiv, um den Betrachter zu einem bestimmten Thema zu führen, sondern sie überlassen ihn wie Meditationsbilder seiner eigenen Befindlichkeit. Dies zwingt ihn, in sich zu gehen und sich zu prüfen.
Farbe
Hinsichtlich der verwendeten Farben ist Gaby Terhuven eine Minimalistin. Sie beginnt ihre Arbeit vorwiegend mit einem lichten Weiß, dem sie pro Arbeit nur zwei oder drei weitere Farbtöne hinzuordnet. Durch diese Reduzierung auf möglichst wenige Farben erreicht sie das beabsichtigte Gegenteil, nämlich ein regelrechtes Auffächern der Farbpalette und geradezu Aufstrahlen der jeweiligen Farben in den verschiedenen Tönungen und Nuancierungen. Der Betrachter erblickt im Ergebnis ein reiches und numerisch nicht fassbares Farbenspektrum. Je nach einfallendem Licht und Betrachterstandort ändert sich das Spektrum erneut.
Folglich ist der von ihr gewählte Ausstellungstitel „en passant?“ gleichermaßen Programm und will auch wörtlich verstanden werden: im Vorübergehen. Er bezieht sich auf die Erkenntnis, dass ihre Bilder eine besondere Form der Wahrnehmung und der Rezeption erfordern und auch ermöglichen, wenn der Betrachter ihnen nicht nur frontal gegenübersteht, sondern auch an ihnen vorüber schreitet.
Gaby Terhuven verwendet überwiegend helle, klare und luzide Farben. Sie treten nie in ihrer Eindeutigkeit und Klarheit auf, sondern in verhaltenen und gebrochenen Werten, die den diffusen Charakter ihrer Bilder bestimmen. Hierdurch erreicht sie in ihren Bildern eine Betonung des Geistigen. Sie ist eine Malerin der leisen Töne und der zarten Akkorde, wenn man einmal eine Beschreibung aus der Musik auf die Kunst übertragen darf. Und bleiben wir bei diesem Bild, so bestehen ihre Akkorde nur aus wenigen Tönen, das heißt sie könnten mit nur einer Hand auf der Klaviatur angeschlagen werden.
Sie zelebriert geradezu die Sinneslust beim Betrachten ihrer Bilder und veranschaulicht die Flüchtigkeit unseres Sehens gleichermaßen. Vielleicht könnte man ihre Bilder als kleine Manifeste von Erinnerungen bezeichnen, denn es sind ja nicht sie, die sich ändern, sondern wir ändern uns, nämlich als Betrachter.
Licht
Licht ist in der Malerei eine reine Illusion, eine Sinnestäuschung, die künstlich durch die Farben erzeugt werden muss. Im Glas hingegen ist das Licht materialimmanent und dadurch beständig vorhanden. Hierdurch erhält es eine völlig andere Bedeutung und auch Qualität, die sich grundlegend von dem Beleuchtungslicht unterscheidet, das „normale“ Bilder benötigen, um wahrgenommen zu werden. Mehr als bei diesen führt beim Glasbild der natürliche oder künstliche Wechsel des Lichts zu einer beständigen Veränderung der Farbwirkung und damit verbunden der Wahrnehmung des Betrachters.
Licht bedeutete den Menschen von jeher sehr viel. Die Menschen früherer Zeiten verstanden Licht als eine geistige Qualität. Licht im Sinne von Erleuchtung bedeutete Erkenntnis. Heute ist Licht jederzeit per Knopfdruck verfügbar und daher in starkem Maße der Beliebigkeit ausgesetzt. Es ist zum Massenphänomen degradiert und muss oft rein merkantilen Zwecken dienen. Diese reduzieren Licht auf seine rein physikalischen Eigenschaften. Das „Leuchtendste“, das uns täglich begegnet, sind die Leuchtreklamen marktschreierischer Neonröhren. Sie erwecken den irrigen Eindruck, dass nur das Hellste auch das Wichtigste sei. Wo dies noch immer nicht ausreicht, muss Licht mit flackernden Stroboskopen und Strahlern in Bewegung gesetzt werden.
Die Wirkung der Glasbilder von Gaby Terhuven würde durch derartiges Licht zerstört. Sie hingegen benötigen das gleichmäßig flutende und strömende Licht. Es ist zudem ein Bildlicht, das extrem durch das Umgebungslicht beeinflusst wird. Je nach Platzierung im Raum, Sonnenstand, Jahreszeit und Tageszeit verändert sich das Wahrzunehmende auf nachhaltige Weise. Ihr Bildlicht ist genau das Gegenteil von dem Licht, das uns die Werbung im Alltag vorgaukelt. Denn es zeigt uns nicht Vermeintliches, sondern Wahres.
Rhythmus
Gaby Terhuven erarbeitet ihre Bilder mit ebenso großer Beharrlichkeit wie Innovationslust. Hierzu bedarf es eingehender Planungen, die in Skizzenbüchern festgehalten werden. Denn ihre Art der Bilderstellung erlaubt keinen spontanen Malakt, sondern erfordert exakte Entwürfe. Dies betrifft einerseits die Farben in ihrer Abgrenzung voneinander, insbesondere aber deren Rhythmisierung, wodurch die Bilder ihr eigentliches Leben entwickeln. Ruhe und Bewegung, Zeitlichkeit und Dauer: diese Gegensatzpaare sind wesentlicher Ausdruck ihrer Bilder.
Sie entwirft Strichcodes und Chiffren und überzieht damit sequenzartig die einzelnen Glasscheiben. Dies verleiht den Arbeiten ihren besonderen Klang und ihre Atmosphäre. Die Anordnung ihrer Codes scheint bisweilen verschlüsselt zu sein, orientiert sich aber vielfach an exakt ausgearbeiteten Ordnungssystemen. Die Bilder basieren quasi auf einer wundersamen Balance zwischen Kalkül und Erfahrung auf der einen Seite - wenn sie ihre Bilder plant - und Überraschung und Erstaunen auf der anderen - wenn die Arbeiten fertig sind.
Ihre Codierungen sind scheinbar in ständiger Veränderung begriffen und bewirken ein flutendes Changieren der Farbtöne. Daher bedürfen ihre Arbeiten keinerlei gegenständlicher Anbindung, denn genau von diesem Phänomen würde dann nur abgelenkt werden. Verhalten und zurückhaltend wie ihre Arbeiten nun mal sind, entwickeln sie doch eine erstaunliche Lebendigkeit. Als zart getaktet könnte man den Rhythmus ihrer Bilder beschreiben.
Symbiose
Nach all’ meinen Überlegungen möchte ich noch einmal zum Thema „Form“ zurückkommen. Denn die Bildaussagen von Gaby Terhuven vermitteln sich zwar über Farben und deren Rhythmisierung, aber die Basis ihrer Arbeit ist die zuvor festgelegte Form. Ihr sind Farben und Rhythmus untergeordnet. Aber nicht in der Hierarchie der Komponenten liegt die Bereicherung für uns als Betrachter, sondern in deren geglückter Symbiose. Über diese grundlegende Bereicherung des Menschen durch die Kunst, die über das Veranschaulichen von bereits Bekanntem hinausgeht, sagte der Maler Fritz Winter (1905 - 1976) „... es ist nicht entscheidend, ob einer malen kann, sondern ob er einer Idee Gottes Form geben kann, dass sie dem anderen eine Erkenntnis und somit ein Leuchten auf der Bahn seines Lebens sein kann.“ Mit diesen drei Begriffen - Form, Erkenntnis, Leuchten - sind die Bilder Gaby Terhuvens ebenso einfach wie treffend beschrieben.
2010 Martin Gesing
„En passant? Malerei auf Glas.“
Katalog „Gaby Terhuven en passant?“
Herausgeber: Stadtmuseum Siegburg, Stadtmuseum Beckum, Kunstmuseum Gelsenkirchen